Vision - Wieso sie wichtig und gefährlich zugleich ist

“Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen” - Dieses berühmte Zitat vom ehemaligen Kanzler Helmut Schmidt ist wohl jedem ein Begriff. Tatsächlich ist es leicht anzunehmen, dass es sich bei einer Vision lediglich um ein weiteres, abgedroschenes Modeschlagwort für Manager und Entrepreneure handelt. Der Hauptgrund liegt wohl darin, dass dies in vielen beobachteten Fällen auch zutreffend ist. In diesem Artikel möchte ich meine Beobachtungen teilen - Zu Visionen, die wirklich nicht mehr als ein Buzzword-Bingo ohne Inhalt und Bedeutung waren, zu solchen, die in Wahrheit eher Unternehmensziele waren, zu denen, die etwa so inspirierend und aktivierend waren, wie eine Steuererklärung und zu jenen, die den eigentlichen Sinn und Zweck einer Unternehmensvision erfüllten.

Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass es wichtig ist, eine Vision für das Unternehmen zu haben. Daher haben die meisten auch eine. Irgendwie. Irgendwo. Im Lauf der Jahre sind mir viele solcher Visionen begegnet. Ich schätze, dass etwa 80% davon in eine der folgenden Kategorien fallen:

  1. Wir haben eine, weil man uns gesagt hat, wir brauchen eine.

  2. Wir haben etwas, das wir für eine Vision halten. In Wahrheit ist es aber eine recht langweilige Version unserer Unternehmensziele.

  3. Wir haben eine gute, brauchbare Vision, an die wir auch glauben. Wir haben nur leider vergessen, unsere Belegschaft auf diesem Weg mitzunehmen.

Beginnen wir mit Kategorie 1: Man erkennt es häufig bereits an der Art, wie der CEO über seine Vision spricht. Die Körpersprache, die Wortwahl, die Art, wie sie vorgetragen wird, all das schreit geradezu heraus, dass die handelnde Person nicht im geringsten von der Vision und deren Mehrwert für das eigene Unternehmen überzeugt ist. Keine Leidenschaft, keine Geschichte, der man folgen möchte (oder kann), nichts das über eine lieblos vorgetragene Phrase hinausgeht. Dabei scheint es meistens so, dass es weniger die Zweifel an der Vision an sich sind, die zu diesem traurigen “Ich sage es eben, weil es von mir erwartet wird” Vortrag führt, sondern der Mangel an Überzeugung für die ganze Idee einer Unternehmensvision. Wirklich schlimm aus Sicht des Mitarbeitenden ist dabei die Vorstellung, dass es dem obersten Entscheidungsträger tatsächlich an jeglicher Fantasie und an jeglicher eigener Vision für das Unternehmen fehlt, das die Person verantwortet.

Vertreter der zweiten Kategorie sind dem Typ 1 meist recht ähnlich. Anders als dieser, tragen diese ihre “Vision” jedoch zumindest mit einer gewissen Überzeugung und Leidenschaft vor. Sie denken tatsächlich, dass “Wir wollen die XYZ-Umsatz-Marke durchbrechen” eine Vision ist und zeigen hierfür sogar ein gewisses Herzblut. Das erinnert ein wenig an den Film Jerry Maguire und die Szene, in der Tom Cruise mehrfach laut in den Telefonhörer schreit “FÜHR MICH ZUM SCHOTTER!”. Ob man das inspirierend finden mag, sei jedem selbst überlassen.

Dann wäre da noch die dritte Kategorie. Eine gute formulierte und ehrlich gemeinte Vision versauert in der Schreibtischschublade, bzw. auf dem Laufwerk irgendeines Top-Managers. Dieser ist davon felsenfest überzeugt, brennt dafür, hat aber nur leider niemanden auf seinem Weg mitgenommen. Schlimmstenfalls kennt außer ihm überhaupt niemand die Vision oder es kann sich zumindest niemand daran erinnern (“Ach ja, das haben sie vor vier Jahren mal beim Townhall - Meeting präsentiert”), bestenfalls kennen alle die Vision und zucken dabei verständnisvoll mit den Schultern.

Das leitet dann direkt über zu den 20%, bei denen eine Unternehmensvision klar und verständnisvoll formuliert ist, systematisch und wiederkehrend als integraler Bestandteil in die Unternehmenskommunikation integriert ist - intern wie extern, und von allen Führungskräften aktiv mitgetragen und getrieben wird. Hier erfüllt die Vision ihren eigentlichen Zweck: Alle Mitarbeitenden haben ein klares Zielbild, auf welches sie jenseits von Quartals- oder Jahreszielen, losgelöst von Bereichen oder persönlichem Gusto des direkten Vorgesetzten hinarbeiten können. Ein Zielbild, das eingängig genug ist, dass man es auch 3 Uhr früh aus dem Schlag gerissen mühelos aufsagen kann und das inspirierend genug ist, dass auch der Bewerber für die Werkstudentenstelle spontan sagt “Darauf hab ich Bock, ich möchte ein Teil dieser Vision sein”.

Das kann funktionieren, wenn folgendes gegeben ist:

  1. Die Formulierung: Inspirierend, klar, prägnant, einprägsam. Ist die Vision zu lange, zu sperrig, zu umständlich oder zu kompliziert formuliert, verfehlt sie ihre Wirkung. Sie sollte kurz, aber dennoch klar und nachvollziehbar sein. In einem kurzen Satz sollte ein Zielbild vermittelt werden, mit dem sich jeder identifizieren kann. Es ist nicht notwendig, in Details zu gehen.

  2. Der Leader: Eine charismatische Persönlichkeit und guter Geschichtenerzähler. Hier geht es nicht darum, den Geschäftsbericht vorzutragen oder durch ein Strategiepapier zu führen. Hier geht es darum, die Menschen zu erreichen und von der eigenen Idee zu überzeugen. Dies gilt im übrigen nicht nur für interne Mitarbeitende, sondern auch für externe Investoren und andere Stakeholder.

  3. Das Führungsteam: Wenn die Vision nur von einem oder von wenigen Leadern aktiv mitgetragen wird, ist sie zum Scheitern verurteilt. Wenn jedoch alle, vom Teamlead aufwärts, darauf eingeschworen und mit Überzeugung dahinter stehen, dann wird sie aktiv und nachhaltig in die Organisation hineingetragen - und strahlt von dieser zurück.

  4. Wiederholung: Es ist nicht ausreichend, die Vision einmalig, wie oben angerissen, im Townhall-Meeting oder in einem ähnlichen Forum zu kommunizieren. Ständige Wiederholungen in verschiedenen Medien, Foren und auf allen Ebenen, intern wie extern, führen dazu, dass die Vision immer und zu jeder Zeit allen präsent ist.

Abschließend lässt sich sagen, dass ich von den Vorteilen einer Vision voll überzeugt bin. Jedoch können beim Formulieren der Vision, bei der Wahl der tragenden Personen und bei der Kommunikation entscheidende Fehler unterlaufen, die das Potential haben, aus der wichtigen Unternehmensvision in der Tat eine Managerphrase zu machen.

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